02.10.2015 | Sich treu bleiben

Was authentisch sein nicht bedeutet

Es gibt drei große Missverständnisse rund um die Authentizität. Sie zu kennen, kann erleichternd sein. Denn: „Seien Sie einfach ganz Sie selbst! Authentisch kommt am besten.“ ist einer der am häufigsten gegebenen Tipps, wenn es darum geht, überzeugend zu wirken.

Aber was bedeutet das? Wie macht man das, authentisch sein?

Besonders oft begegnet mir diese Unsicherheit bei Selbstständigen, die sich eben erst positionieren oder sich neu positionieren möchten. Man richtet sich neu aus, tritt neu auf, soll dabei überzeugend wirken, fühlt sich aber unsicher. Man kämpft mit widerstreitenden Gefühlen. Einerseits weiß man, dass man viel zu bieten hat – also „mit Recht“ als Expertin auftritt. Andererseits fühlt man sich unsicher, hat das Gefühl zu bluffen.

Die Entzauberung der so oft gehörten Authentizität tut der eigenen Sicherheit Gutes.

Missverständnis Nr. 1:

Egal mit wem ich zu tun habe, ich bin immer gleich.

Das kennen wir alle: Wir geben uns unterschiedlich – teils sogar sehr unterschiedlich – je nach Situation, Position, Gegenüber und Umfeld. Der Grund dafür ist, dass wir uns ständig in unterschiedlichen sozialen Rollen wiederfinden:

  • privat (Tochter, Partnerin, beste Freundin, Yoga-Begeisterte …)
  • beruflich (Unternehmerin, Beraterin, Auftragnehmerin, Branchen-Kollegin …)

Jede dieser Rollen umfasst ein anderes „Set“ von Eigenschaften.

Denn es gibt zwar viele Adjektive, die uns treffend beschreiben, sie treffen allerdings nicht immer zu.

Sie gehören zu einer unserer Rollen und zu deren „Set“. Diese Sets sichern, dass wir uns in unterschiedlichen Situationen angemessen verhalten.

Denn die Rollenerwartung in Situationen, in denen Sie sich als Mitglied Ihrer Familie bewegen, ist eine völlig andere als in jenen, in denen Sie beruflich auftreten. Sie erleben sich dann auch anders, eventuell sogar in Wortwahl, Sprechweise, Mimik und Gestik. Und darum fühlen Sie sich jeweils unterschiedlich.

Übernehmen wir eine neue Rolle, kommt meist etwas Unsicherheit hinzu. Das kommt daher, dass uns im allgemeinen nicht bewusst ist, dass wir für diese neue Rolle erst ein Set entwickeln müssen: Wir müssen uns die Rolle erst aneignen, sie für uns ausgestalten, sie entwickeln. Uns dafür eventuell erst Vorbilder suchen.

Dass wir uns unsicher fühlen und uns dabei selbst etwas fremd sind, bedeutet nicht, dass wir nicht authentisch sind. Es bedeutet lediglich, dass wir etwas Zeit brauchen, um in die Ansprüche der neuen Rolle hineinzuwachsen.

Missverständnis Nr. 2:

Authentisch heißt naturbelassen.

Niemand zeigt sich ständig zu hundert Prozent echt. Wir bleiben auch nicht wer wir sind oder waren. Wir optimieren. Unser Wissen, unser Verhalten, unser Aussehen … Wir legen Hand an, setzen unser Engagement ein, um zu werden, wer wir noch nicht sind. Manchmal bluffen wir auch.

Dann stellt sich ein ungutes Gefühl ein. Wir sind unsicher, weil wir wissen, dass wir nicht „von Natur aus“ so sind. Wir haben an den Schrauben gedreht, uns vorsätzlich verändert. Vielleicht erst heute Morgen, bevor wir zu unserem Termin gestartet sind.

Doch dass wir für unsere Rollen und „Auftritte“ bestimmte Requisiten nutzen (Kleidung, Makeup, Statussymbole) und uns bestimmte Dinge aneignen (Wissen, Verhalten), um sie ausfüllen zu können, bedeutet nicht, nicht authentisch zu sein. Wir zeigen vielmehr soziale Kompetenz:

  • Wir akzeptieren das legere Outfit zwar für einen Tag am Schreibtisch, wissen aber, dass der bevorstehende Besuch beim Kunden nach einem anderen verlangt.
    Unser Gefühl sagt uns vielleicht außerdem, dass es klug ist, das eine Fachgebiet, auf das die Sprache demnächst kommen könnte, nochmals kurz nachzuschlagen. An sich ist zwar alles klar, aber so ganz aus dem Effeff …

Bitte verwechseln Sie „Anpassungen“ dieser Art nicht als Hinweis auf fehlende Authentizität! Vielmehr sind sie ein Zeichen dafür, dass wir die Codes und Sitten unseres Umfeldes verstehen, uns realistisch einschätzen und entsprechend bestrebt sind, uns angemessen zu verhalten.

Missverständnis Nr. 3:

Besonders ehrlich ist besonders authentisch

Oft fühlen wir uns in unseren Rollen unsicherer als uns andere wahrnehmen. Das liegt daran, dass wir viel mehr von uns wissen als unsere Gegenüber: Was wir wann gelernt haben, wo wir noch nicht ganz sattelfest sind oder vor kurzen noch nicht waren …

Gleichzeitig findet sich oft der Hinweis, es sei besonders sympathisch (weil authentisch), sich als Mensch mit Schwächen und Kanten zu zeigen. Die Unsicherheit entsteht, wenn wir nicht wissen, wo dafür die Grenze liegt.

Folgendes hilft: Dass wir ab und an das Gefühl haben „zu tun als ob“, weil wir nicht offen legen, welche Vorarbeit wir geleistet haben oder wo wir uns (noch) nicht zu hundert Prozent sicher fühlen, bedeutet nicht, dass wir nicht authentisch sind. Vielmehr ist darin ein Zeichen von Professionalität zu sehen.

Denn Professionell bedeutet: Verantwortung übernehmen und Sicherheit geben. Dafür ist es notwendig sich entsprechend souverän zu verhalten: Wir füllen unsere Rolle aus.

Freilich: In Fällen, in denen wir unseren Gegenübern diese Sicherheit nicht geben können, weil Können oder Wissen nicht ausreichen, haben wir es mit einer anderen Art von Unsicherheit zu tun. Hier gilt es Klarheit zu schaffen. Das bedarf einer Portion Mut.

– Und mutig zu sein, das wirkt mit Sicherheit authentisch :-)